Frankreich, anno 1348
Das Stealth-Adventure A Plague Tale: Innocence erleben wir aus der unschuldigen Perspektive der jungen Amicia de Rune – eine adlige, welche zu Beginn brutal von ihren Eltern getrennt wird und fortan mit ihrem kleinen Bruder Hugo auf der Flucht vor der Inquisition ist. Von dem Mord an Vater und Mutter traumatisiert, versucht sie ihrer Verantwortung der großen Schwester gerecht zu werden und stets ihren eigenartig besonderen und doch hilflosen Bruder zu schützen.
Ohne weiter auf die genaue Ausgangssituation einzugehen, setzt das Spiel quasi mitten im dramatischen Geschehen an und übergibt uns recht schnell die 3rd-Person-Kontrolle der sympathischen Protagonistin. Neben kontrastreichen, gelegentlich ruhigeren Passagen, in denen ein Gros der Charakterbildung stattfindet, schleichen wir uns stets durch aneinander gereihte und doch sehr atmosphärisch gestaltete Schlauch-Levels.
Dem Spiel liegt zwar ein kaum nennenswertes, überschaubares RPG-System mit schlichten Fähigkeiten zugrunde, manches mal muss auch (ungewollt) gekämpft werden – das Highlight sind aber ganz klar die Interaktionen zwischen Amicia, Hugo und ihrer Umwelt.
Achterbahnfahrt der Emotionen
Natürlich liegt dem Plot eine geheimnisvolle Verschwörung rund um die Inquisition und den kleinen Hugo zugrunde, doch die Twists kommen nicht unangekündigt und gewinnen keinen Blumentopf. Vielmehr sind es die Bindung der beiden Charaktere, ihre Interaktion in verletzlichen Situationen und die stete Bedrohung der Inquisition und später auftretenden Rattenpest, welche einen wahrlich innerlich mitfühlen lassen.
Leider ist A Plague Tale: Innocence – wie beispielsweise auch ein Tomb Raider oder Uncharted – alles andere als vor Logiklücken gefeit. Zwar eignet sich beispielsweise Amicia recht schnell eine dicke Haut an, hat nach ihrem ersten Totschlag unter Tränen jedoch herzlich wenig Skrupel Dutzende Anhänger der Inquisition grausam durch die Rattenplage umkommen zu lassen. Ähnlich einer Lara Croft, welcher scharenweise Leute erschießt, nur um in der nächsten Szenen emotional und doch künstlich zusammen zu brechen, muss man auch hier Kompromisse eingehen.
Dennoch kommt man einfach nicht umhin, das ungleiche Duo schnell ins Herz zu schließen und fiebert bei jeder Konfrontation bis zum Schluss mit. Hier zeigt sich die Handwerkskunst der Entwickler von Asobo Studios, was den Titel beinahe auf eine Höhe mit PS4-exklusiven Ikonen hievt.
Ein zeitgenössisches Drama im Stealth-Gewand
Long story short: A Plague Tale: Innocence ist ein Stealth-Adventure, dass viel Zeit mit Charakter- und Weltbildung verbringt – den reinen Gameplay-Aspekt aber die zweite Geige spielen lässt. Wenn man diesen Umstand erst einmal verdaut hat, kann man sich leicht auf das Konstrukt ein lassen. Die meiste Zeit erkunden oder schleichen wir als Amicia de Rune durch äußerst authentische Schauplätze, müssen Wachen mit einer Steinschleuder ablenken und später auch unschädlich machen.
Neben dem Umstand, dass stets auf Hugo zu achten ist – welcher sich schnell als einer der unkompliziertesten NPC-Companions aller Zeiten beweist – sind wir oft auf der Flucht. Das zieht sich quasi durch das gesamte Spiel und variiert höchstens darin, Hugo für Ablenkungsmanöver oder Hilfeleistungen einzusetzen. Klingt billig, passt aber ins Gesamtbild der Handlung.
Ab einem bestimmten Punkt haben die vermutlich beängstigenden Widersacher des Spiels und zeitgleich größte spielerische Attraktion ihren Auftritt: Schwärme blutrünstiger Ratten. Und mit Schwärmen sind eine gruselig akkurat agierende, schwarze Masse gemeint, welche so noch nicht in einem Spiel vorkam. Oftmals bei Berührung letal, lässt sich der Rattenschwarm nur durch gekonntes Einsetzen von Feuer und Lichtquellen manipulieren.
Auf diesem Weg findet eine neue Komponente ins Spiel, die dessen Struktur etwas aufmischt: Gelegentlich auf der Flucht vor den Tieren, müssen bei kleineren Environment-Rätseln entweder Auswege gefunden oder die Plage auf Wächter der Inquisition gehetzt werden. Durch den gekonnten Einsatz unterschiedlicher Grafikeffekte und bedrohlicher Musikuntermalung erzeugen solche Momente ihren eigenen Sog und stellen eine nette Abwechslung dar.
Visuelles Meisterwerk mit Macken
Trotz des im Vorfeld angekündigten und offensichtlich geringen Budgets dieser (AA-)Produktion, kommt man nicht umhin, die dichte Atmosphäre der Levels förmlich in sich aufsaugen zu wollen. Das Leveldesign besticht durch authentischer Farbgebung und vieler kleiner Details am Wegesrand. Selbst auf der Xbox One X, auf welcher das Spiel getestet wurde, sah A Plague Tale: Innocence durchweg großartig aus. Auch Characterdesign, die Outfits und Mimik passen sich nahtlos ins ohnehin schon glaubhafte Gesamtbild.
Passend also der Umstand, dass Animationen durch die Bank stets sehr flüssig und komplex wirken. Gerade zu Beginn in der Anfangssequenz, in der Amicia noch unbeschwert durch den von Herbstfarben geprägten Wald der französischen Provence schlendert, ist man nicht schwer überrascht, wie echt die Bewegungsabläufe wirken. Da wurde – gerade in den oft sonst vernachlässigten Bereichen – ganze Arbeit geleistet.
Umso bedauerlicher die Tatsache, dass die deutschen Synchronsprecher sich nicht selten in Situation und Ton vergreifen; Lippensynchronität in den wenigsten Fällen besteht. Spannend hingegen der Umstand, dass dies den eigentlichen O-Ton in französisch im im Kontrast zur englischen Vertonung auch betrifft. Katastrophal sind die Deutschen Sprecher keineswegs, wirken gelegentlich einfach blind.