Testbericht: Detroit: Become Human

PS4-Version, getestet von Timo Schmidt am

Detroit: Become Human des französischen Entwicklerstudios Quantic Dream fußt auf einer Tech-Demo, welche man nach dem erfolgreichen Durchspielen von Beyond: Two Souls gezeigt bekam. In der Sequenz erwachte ein Roboter während der Assemblierung zum Leben und begann sein Dasein zu hinterfragen. Kara, so der Name der Androidin, ist in Detroit: Become Human nun eine der drei Haupt-Protagonisten. Der neue Titel setzt die Suche nach Menschlichkeit und Selbstbestimmung auf monumentale Art und Weise fort.

Die Geschichte spielt im futuristischen, namensgebenden Detroit im Jahre 2038. Sogenannte Androiden wurden zu alltägliche Helfer und Begleiter von Mittel- und Oberschicht. Nicht nur als Haushaltsgehilfen, persönliche Assistenten oder gar Sexobjekte, sondern auch als günstige Mitarbeiter in Unternehmen ersetzen sie nach und nach immer mehr menschliche Arbeitnehmer – was zu landesweiten Spannungen führt. Der Umstand, dass die Roboter in ihrem Erscheinungsbild abgesehen von einer runden LED an der Schläfe kaum von ihren Vorlagen aus Fleisch und Blut zu unterscheiden sind, hilft hierbei keineswegs.

Immer mehr von entsprechend betroffenen Bürgern verhasst, werden diese Statusobjekte diffizil abgesondert: Separierte Abteilungen in öffentlichen Verkehrsmitteln, Zutrittsverbote zu Bars und ähnliches weisen deutlich auf eine nur allzu bekannte Thematik aus dem 18. Jahrhundert hin. Während die eigentlichen Nutzer der maschinellen Begleiter ihre Existenz dankbar hinnehmen, ist dieser quasi Rassismus während des ganzen Spiels zu spüren und auch einer der Pfeiler der komplexen Haupthandlung.

Drei Gesichter, drei Schicksale

Neben Kara, welche dem cholerischen Alkoholiker Todd und seiner gebrandmarkten Tochter Alice untersteht, begleiten wir in Detroit: Become Human überdies die beiden Prototypen Markus und Connor. Ersterer ist ein hochentwickelter Pfleger des wohlhabenden, in die Jahre gekommenen Malers Carl Manfred – welcher die Beziehung zwischen Mensch und Maschine zynisch hinterfragt und seinem Androiden Selbstverwirklichung wünscht.

Connor hingegen untersteht als vom fiktiven Hersteller CyberLife bereit gestellter Prototyp der Polizei; genauer gesagt als digitaler Partner des harschen Ermittlers Hank Anderson. Dieser ist von seinem Komplizen alles andere begeistert – schlimmer noch: Androiden widern ihn an. Dass dies Treibstoff für prekäre Situationen ist, macht uns Quantic Dream, respektive David Cage von Anfang an klar.

Aufgrund unserer Entscheidungsfreiheit und des emotionsschwangeren Geschichtsverlaufs entsteht zwischen Spieler und den Individuen zuweilen eine starke Bindung. Dieser Umstand wird von Quantic Dream mit aufwendigen Motion-Capture-Aufnahmen zusätzlich getoppt.

Virtueller Einfluss auf eine synthetische Welt

Der als Spiel getarnte, hochinteraktive Animationsfilm beginnt mit den jeweiligen Vorgeschichten der drei unverhofften Titelhelden. Gleich zu Beginn wird klar: Jede Entscheidung hat mal mehr, mal weniger weitreichende Konsequenzen für Spieler und somit Handlung. Hierbei wird der Handlungsbogen penibel mit Details gespickt, welche rekursiv die kommenden Ereignisse beeinflussen. Hierbei wird gleichermaßen auf Dialogoptionen, mögliche Handlungen in der Spielwelt als auch das bewältigen von (teils sehr hektischen) Quicktime-Events zurückgegriffen.

Zu Beginn wird der Spieler hierbei noch sensibel an der Hand durch die Szenen geführt: Subtile Einblendungen zeigen auf, welche Controllereingaben situationsentscheidend, welche Gegenstände oder Aktionsmöglichkeiten in den Levels berücksichtigt werden sollten. Dabei wirken die Interface-Elemente zu keinem Zeitpunkt intrusiv oder unterbrechen gar den Spielfluss. Generell wird so gut es geht auf Einblendungen verzichtet und wenn unvermeidbar erfrischend authentisch ins Spiel eingebaut: Möglichkeitsberechnungen, Mimik-Scans und ähnliche Elemente wirken dynamisch und passen zu den jeweiligen Situationen und Protagonisten.

So auch das Gameplay selbst: Connor als Polizisten-Kumpane kann Blutwerte, Wunden an Leichen, Einschusslöcher und Wahrscheinlichkeiten in brenzligen Situationen analysieren. Hierbei fühlt sich Detroit: Become Human wie ein interaktiver Detektiv-Thriller an. Die Wahl des Spielers kann also zu jedem Zeitpunkt so den Ausgang der Ermittlungen oder einfach nur die Hanks mürrische Laune beeinflussen.

Als Kara hingegen sind die Entscheidungsmöglichkeiten und die Handlungsfreiheit im Gros auf emotionale Schlussfolgerungen beschränkt. Sie ist ein Haushalts-Androide, welcher nach und nach Gefühle und ein Bewusstsein zu entwickeln scheint. Das aus der Demo-Version bekannte Level ist hierbei ein perfektes Beispiel: Rettet sie Alice vor ihrem rasenden, betrunkenen Vater Todd oder beugt sie sich den einprogrammierten Protokollen? Entsprechend schwerwiegend können auch die Konsequenzen ausfallen.

Markus erlebt ebenfalls relativ früh einen Schicksalsschlag und muss seine Rolle in einer sich rasant entzündenden Gesellschaft finden. Schnell wird klar, dass er die Chance hätte, Androiden in eine neue Zeit zu führen. Ob und wie sich das auf sein Umfeld und die Geschichte auswirkt, bleibt dem Spieler überlassen.

Technisches Meisterwerk

Detroit: Become Human hat mit David Cages Vorgängerwerken eines ganz besonders gemein: Die technische Qualität und durchdachte Entscheidungskomplexität ist schlichtweg sensationell. Dies trifft sowohl auf die audiovisuelle Präsentation, als auch das Gameplay selbst zu.

Rein spielerisch wirkt alles umfassend durchdacht; so zeigt das Abenteuer einem die eingeschlagenen Pfade inklusive möglicher Alternativen am Ende jedes Levels auf. Min/Max-Spieler könnten nun jedes Level nach Belieben Revue passieren lassen und einen anderen Ausgang anstreben. Handlungs-Puristen, welche sich einfach vom Strom der Emotionen treiben lassen und ihren Entscheidungen Konsequenz anhaften wollen, können dieses Feature getrost ignorieren. So bietet das Spiel in der Theorie enormen Wiederspielwert.

Was überdies fürs Auge und Ohr geboten wird, sucht verbissen seinesgleichen: Durch Motion-Capture-Aufnahmen für beinahe alle Darsteller und einer hochpolierten Engine, holt Detroit: Become Human erstaunlich viel aus Sonys eingestaubten Konsolengeneration: Die namensgebende Stadt erstrahlt in einer Optik und liefert Details, dass beinahe ein „Uncanny Valley“-Gefühl einsetzt. Alles wirkt plastisch und keine Besonderheiten aufgesetzt. Zuweilen sind die Animationen und Level derart gut, dass einem gerne mal vor Staunen die Kinnlade fällt.

Illusion der Kontrolle

Nach einer gewissen Zeit stellt sich die Frage: Habe ich wirklich die Kontrolle über jede Situation? Tatsächlich berechtigt, da natürlich alle Enden vom Entwickler produziert wurden. Dennoch übt das Spiel subtil Druck auf den Spieler aus und wischt den Gedanken an diese Frage fort: Stirbt ein Protagonist aufgrund unserer Taten während der Handlung, ist er tot. Die Geschichte hingegen läuft – wie im echten Leben – dennoch weiter.

Im Schnitt lässt sich die Palette an Entscheidungen pro Spielabschnitt auf maximal zwei Dutzend herunter brechen. Die Matrix am Ende jedes Levels unterstreicht die Tatsache, dass manche Möglichkeiten gelegentlich kaum an Absurdität überboten werden könnten. Gerade für Story-Fetischisten wäre eine Option, diese Matrix beim ersten Durchlauf gänzlich abzuschalten, sicher hilfreich gewesen. So wird man beinahe gezwungen seiner Neugier freien Lauf zu lassen und seine Entscheidungen mit Freunden und der weltweiten Community zu vergleichen.

Viele bedeutungsschwere Momente sind jedoch auf metaphorische Kreuzungen beschränkt: Nach links oder rechts? Schießen oder nicht? Retten oder nicht? So wird einem irgendwann klar, dass das Gesamtbild nach wie vor konstruiert ist, obgleich Details beeinflusst werden können. Mehr kann man auch nicht erwarten; so wäre die Narrative doch am Ende sehr austauschbar. Genau dies ist sie jedoch nicht: Mit gewagten Themen und einer gewissen Bildgewalt fesselt Cage einen an den Schirm. Eine Sache, die man dem Entwickler also leicht verzeihen kann.

Am Ende handelt es sich bei den drei Titelhelden immerhin um keine Menschen – was ihre einstweilig höchst zweifelhaften Entscheidungen und „Gedankenstrukturen“ immer wieder in Erinnerung rufen.

Wertung

Positiv

  • Nachvollziehbare, cineastisch inszenierte Protagonisten
  • Atemberaubende Animationen und Szenerien
  • Thematik & Ton der Handlung könnten kaum treffender sein
  • Unzählige einflussreiche Entscheidungsmöglichkeiten
  • Viele verschiedene Enden und hoher Wiederspielwert

Negativ

  • Verzeichbare Logik-Löcher in der Handlung
  • Entscheidungs-Matrix nicht deaktivierbar
  • PS4-Exklusivtitel, den jeder mal erleben sollte

Fazit

GC-Wertung
9,0

Mit Detroit: Become Human liefert das Team rund um David Cage mal wieder ein polarisierendes Meisterwerk: Eine größere Entscheidungsvielfalt, als einst Heavy Rain bot, drescht mit dem Konsequenzen-Hammer auf den Spieler ein, bis dieser in seinen Emotionen zu ertrinken droht. Eine Kunst, die nicht viele Spiele, oder generell Medien, beherrschen.

Dabei wurde der Titel in technischer Hinsicht derart hochwertig produziert, dass man gerne mal vergisst, dass das dargebotene kein Spielfilm ist. Die Narrative, der Soundtrack und grafische Qualität runden das Gesamtbild befriedigend ab. Gelegentlich erschreckend effizienter als so manch Spielfilm wissen die virtuellen Schicksale der Androiden wahrlich zu bewegen.

Ein ausgeklügeltes Matrix-Raster, was uns regelmäßig die Komplexität des Spiels aufweist und unsere Pfade mit Mitspielern vergleichen oder gar unterschiedlich angehen lässt, sorgt für einen hohen Wiederspielwert. Leider lässt er sich – etwa für einen ersten Spieldurchlauf – nicht abschalten und kann auf manche Spieler sicherlich aufdringlich wirken.

Als hätte David Cage wirklich nötig, uns regelmäßig zu erinnern: „Hey, das Spiel ist komplex und deine Entscheidungen haben Konsequenzen!“. Der Titel hätte ein ein deutlich größeres Publikum, etwa auf dem Computer, wirklich verdient!

Vielen Dank an ToLL Relations für die Bereitstellung des Testmusters.