Drei Jahre zurück
Die Ereignisse von Life is Strange: Before the Storm finden drei Jahre vor dem ersten Teil statt. Maxine (meist nur Max genannt) ist zu dieser Zeit mit ihrer Familie in Seattle und wird nur in Erzählungen erwähnt. Stattdessen ist nun Chloe Price die Protagonistin des Spiels, deren Vater zwei Jahre zuvor gestorben ist. Der Kontakt zu ihrer besten Freundin Max ist ebenfalls abgebrochen.
Sie lebt daher alleine mit ihrer Mutter, die mittlerweile mit dem ehemaligen Soldaten David Madsen zusammen ist, der zu diesem Zeitpunkt noch arbeitslos ist. Ein großartiger Sympathieträger ist er auf den ersten Blick nicht, doch Chloe macht es ihm auch nicht unbedingt einfach. Aufgrund der traurigen Ereignisse strotzt sie nicht gerade vor Lebensfreude.
Dabei verlief ihr bisheriges Leben recht positiv. Einst war sie eine gute Schülerin und landete so auf der Blackwell Academy, einer Universität in der fiktiven Stadt Arcadia Bay in Oregon. Dort geht sie auch weiterhin zur Schule und hat immerhin einige Bekanntschaften, doch eine enge Freundschaft wie einst mit Max fehlt ihr – zumindest noch.
Teenager-Drama statt Zeitreise-Abenteuer
Eine Enttäuschung könnte Before the Storm vor allem für diejenigen sein, die ein vom Gameplay her ähnliches Spiel wie das erste Life is Strange erwarten. Max kommt im Spiel nicht vor und hat ihre Fähigkeiten zu dieser Zeit ohnehin noch nicht entdeckt. Chloe selbst besitzt keine übernatürlichen Fähigkeiten, sondern quasi nur ein loses Mundwerk, welches sie in einigen Situationen zu ihrem Vorteil einsetzen darf. Dies erfolgt vor allem in den Widerworte-Herausforderungen, bei denen bei einer Unterhaltung in mehreren Schritten mit Argumenten oder Beleidigungen geantwortet wird, um das Gegenüber im Erfolgsfall letztendlich zu überzeugen.
Die Verbindung zur Life-is-Strange-Franchise ist somit weniger das Gameplay, sondern vielmehr das Ensemble mit den bekannten Charakteren. Vorwissen ist für das Verständnis nicht erforderlich, aber sicherlich etwas hilfreich. Was ohne die Zeitmanipulation zur Rettung von Arcadia Bay bleibt? Die Vorgeschichte von Chloe Price und Rachel Amber als Teenager-Drama, bei dem es vor allem um Lügen geht.
Aufgeteilt in drei Episoden
Zu Beginn der in drei Episoden aufgeteilten Story möchte Chloe auf ein Konzert in einer alten Sägemühle, doch der Zutritt wird ihr zunächst vom Türsteher verwehrt. Einfach bequatschen lässt dieser sich nicht, doch beim genaueren Inspizieren der Umgebung wird ein Dialog freigeschaltet, der zunächst jedoch ebenfalls nicht zum Erfolg führt. Hier kommt erstmals das bereits erwähnte Widerworte-Feature mit einer kurzen Einführung zum Einsatz. Endlich auf dem Konzert angekommen, gerät Chloe recht zügig in Schwierigkeiten. Doch in einer gefährlichen Situation kommt ihr die beliebte Musterschülerin Rachel Amber zur Hilfe. Dieses Ereignis legt den in gewisser Weise den Grundstein für eine neue Freundschaft der beiden Teenager – und stellt damit ein Lichtblick in Chloes Leben dar.
Anfangs mag es etwas schwer sein, sich in die Rolle der launischen Protagonistin, die sich leicht aggressiv, schlecht gelaunt und respektlos verhält, hineinzuversetzen. Trotz ihrer rebellischen Art hat sie dennoch etwas Gutes in sich. Schließlich trifft sie auf mehrere Charaktere, die offenbar gut mit ihr auskommen, deren Persönlichkeiten und Geschichten jedoch äußerst oberflächlich behandelt werden. In erster Linie stehen Chloe und Rachel mit ihrem Abenteuer im Vordergrund, aber auch Chloes Mutter, David, der Drogendealer Frank und einige Schüler der Blackwell Academy finden Beachtung. Die erste Episode ist eine lockere Einführung, die für meinen Geschmack nicht allzu viel Spannung bietet. Immerhin das Episodenende sorgte für einen leicht schockierenden Moment.
Zu Beginn der zweiten Episode fällt auf, dass bei der Darstellung der bisherigen Ereignisse die Situationen mit eigenen Entscheidungen nicht dargestellt werden – dabei wäre ein etwas personifiziertes Intro schöner und sicherlich gar nicht so kompliziert gewesen. Die Auswirkungen der Situation vom Ende der ersten Episode hat keine größere Bedeutung. Es wirkte so als war etwas Dramatisches zum Ende als Cliffhanger gewünscht worden, bei dem eine Idee fehlte, wie dies noch sinnvoll im weiteren Spielverlauf eine Rolle spielen sollte. Stattdessen wird das Teenager-Drama weitererzählt. Aus der zunächst flüchtigen Bekanntschaft verfestigt sich eine sehr starke Freundschaft – auf welche Art und Weise hängt von den eigenen Entscheidungen ab.
Die Geschichte wirkt recht glaubwürdig, allzu viel Spannung wird jedoch nicht geboten. Die Erzählung ist zweifellos gut, nur war Life is Strange ein gutes Beispiel für ein Adventure, das nicht nur ein interaktiver Film ist. Vor allem die zweite Episode von Before the Storm wirkt dagegen spielerisch recht anspruchslos, fast wie ein Lückenfüller zum Finale. Bei einem Spiel, das lediglich aus drei Episoden besteht, enttäuscht dies doch sehr. Mit der dritten Episode haben die Entwickler noch etwas die Kurve bekommen, sowohl hinsichtlich der Spannung als auch beim Gameplay.
Entscheidungen mit Konsequenzen?
Häufig werden die Telltale-Adventures kritisiert, da die Entscheidungen sich nicht so sehr auswirken, wie es die Spiele vorgeben. Life is Strange bewies, dass es auch anders ging. Viele Entscheidungen oder Ereignisse hatten sichtbare Auswirkungen – manchmal in der darauffolgenden Episode, manchmal auch erst später. Zwar führte alles letztlich nur zu zwei unterschiedlichen Enden, doch selbst das ist positiv, da diese im Detail noch Variationen parat hielten.
In Before the Storm ist dies allerdings nicht mehr in dem Umfang zu erkennen. Häufiger gab es Entscheidungen zu treffen, dessen Auswahl mit dramatischer Musik hinterlegt war. Hier sollte ich gut überlegen, wofür ich mich entscheide, schließlich kann ich nicht einfach die Zeit zurückdrehen. Letztlich war die Frage, ob dies wirklich eine Auswirkung hatte größer als nach dem „was wäre, wenn …“. Eine Liste mit unterschiedlichen Auswirkungen ist recht umfangreich, nur wird dieser Umfang beim erstmaligen Durchlauf nicht ersichtlich.
Auf den Verlauf der Story selbst lässt sich mit den Entscheidungen wenig Einfluss nehmen, doch vereinzelte Szenen laufen unterschiedlich ab, auch über mehrere Episoden hinweg. Selbst das Verhältnis zwischen Chloe und Rachel wird durch die Taten bestimmt. Die deutlichste Konsequenz betrifft das Spiel-Ende, welches durch das Handeln zum Schluss maßgeblich beeinflusst wird.
Schwächelndes Gameplay
Viele der Gameplay-Elemente wurden vom ersten Teil übernommen, aber auf Chloes Person zugeschnitten. Auch Chloe führt ein Tagebuch, welches zugleich wieder Informationen über die Personen im Umfeld enthält. Während Max vorgegebene Objekte und Momente fotografiert hat, darf Chloe zum Stift greifen und Graffitis hinterlassen. Zumeist darf eines von zwei Motiven gewählt werden. Die optionalen Graffitis schalten eine Errungenschaft frei. Wer eines verpasst hat, kann einzelne Abschnitte der Episoden im Sammlermodus nachholen. Entscheidungen spielen in dem Modus keine Rolle und Dialoge können schrittweise übersprungen werden.
Bei episodischen Abenteuerspielen mit Fokus auf die Geschichte besteht die Gefahr, dass es eher zu einem interaktiven Film als einem Spiel wird. In meinen Augen sollte ein Adventure einige Freiheiten und zumindest ein paar halbwegs anspruchsvolle und interessante Rätsel bieten. Beim ersten Teil ist mir hier beispielsweise die Detektivarbeit an einer Stelle in Erinnerung geblieben. Davon ist dieses Mal leider nicht allzu viel zu sehen. Etwas Ähnliches gibt es zwar in der finalen Episode, doch ansonsten sind die Aufgaben der Bezeichnung „Rätsel“ nicht würdig. Vielmehr sind es recht langweilige Sammelaufgaben. So ist beispielsweise ein Tisch zu decken: Gegenstände aus dem Schrank holen, auf den Tisch stellen und zwischendurch Konversation führen. Wirklich Spaß macht das nicht, der Vorgang wäre in einer kurzen Zwischensequenz besser aufgehoben.
Schön ist das Widerworte-Feature, quasi als Ausgleich zu Max’ Fähigkeit. Es kommt zwar relativ selten vor, doch bei einer Spielzeit von grob 7 Stunden bliebe wohl auch nicht viel Raum dafür. In der Feature-Beschreibung ist der Punkt „Wechsle deine Outfits im Spiel und sieh, wie deine Umgebung darauf reagiert“ vorzufinden. In wenigen Situationen stand eine Outfit-Auswahl an, bei der mir eine schnelle Menü-Auswahl lieber gewesen wäre als ein Umziehen mit Wartezeit. Reaktionen in der Umgebung sind mir nie aufgefallen.
Kein echtes Gameplay-Element, aber ein Spiel im Spiel, das im Idealfall zweimal zur Verfügung steht, ist ein Tabletop-Spiel im Dungeons-&-Dragons-Stil. Es ist kein Pflicht-Element, wurde aber recht schön und spaßig umgesetzt.
Neue Synchronisation, mäßige Grafik und emotionale Musik
Fans von Life is Strange dürfte schnell die abweichende Synchronstimme von Chloe auffallen, die aufgrund des Streiks der SAG-AFTRA nicht wieder von Ashly Burch stammte. Sie stand aber zumindest als Beraterin zur Verfügung. Die neue Stimme kommt von Rhianna DeVries, was zumindest zu Spielbeginn etwas ungewohnt ist. Lediglich bei Lebewohl stammt die Stimme wieder von Ashly Burch.
Trotz des Einsatzes von Unity anstelle der Unreal Engine ist Deck Nine dem Grafikstil treu geblieben. Hier lässt sich wohl streiten, ob das wirklich hübsch ist, aber es passt gut zum Genre und vor allem zum ersten Teil. Besser geworden sind vor allem die Animationen, Mimik und Gesten. Sie spiegeln die Stimmung der Charaktere gut wider. In einer Situation war bereits am Gesichtsausdruck die ansteigende Wut zu erkennen, ehe es noch durch die restliche Körperhaltung und Gestik bestätigt wurde. Allerdings könnte die Grafik trotz ihres Stils an einigen Stellen schöner sein. Wenn bei einer Zugfahrt ein Busch in der Optik eines Papp-Aufstellers erscheint, lädt es nicht unbedingt zum Genießen ein.
Emotionen funktionieren am besten mit der passenden Musik, das konnte bereits das erste Life is Strange unter Beweis stellen. Selbst wenn die Momente nicht ganz so dramatisch und emotional herüberkommen mögen, macht sich Before the Storm den Soundtrack hervorragend zunutze. Passend zur aktuellen Situation erfolgt ruhigere oder dramatischere Musik. Der Soundtrack stammt primär von der Indie-Folk-Band Daughter, aber auch Songs anderer Künstler werden verwendet.
Lebewohl
Besitzer der Deluxe Edition erhalten – neben zusätzlichen Outfits, einem Mixtape-Modus für die Erstellung einer eigenen Playlist – die Bonus-Episode Lebewohl, welche auch zusätzlich erworben werden kann. Die Spieldauer beträgt leicht über eine Stunde, sodass der Aufpreis von knapp 10 Euro recht hoch wirkt, schließlich kosten die anderen drei Episoden zusammen 17 Euro.
Im Gegensatz zum Hauptspiel wird erneut die Rolle von Max übernommen, die kurz davor ist, mit ihrer Familie nach Seattle umzuziehen und zu dem Zeitpunkt noch keinerlei Fähigkeiten hat. Gemeinsam lassen Max und Chloe die Erinnerungen an ihre Piraten-Abenteuer in der Kindheit aufleben. Sonderlich spannend ist dies zwar nicht, dennoch schön anzusehen und zumindest mit kleineren Aufgaben und einem Mini-Rätsel. Entscheidungen spielen in der Episode keine große Rolle. Lebewohl ist eine kurze, aber schöne und vor allem wieder sehr emotionalen Zugabe für Life-is-Strange-Fans.