Die Zukunft der Vergangenheit
Natürlich offenbart uns das Spiel ab einem gewissen Punkt, in welchem Zeitalter es spielt; doch Spoiler schon zu Beginn einer Review müssen nicht sein. Soviel will ich jedoch schon verraten: Horizon Zero Dawn spielt, ungleich wie seine 221.388 anderen Vertreter des Genres, nicht in einer Fantasy-Welt. Spannend! In dem Spiel übernehmen wie die Rolle von Aloy, einer Ausgestoßenen des Nora-Stammes. Ihr Volk lebt in steinzeitlicher Manier im „Schoß“ von „Mutters Becken“ – einem Gebirgekessel, in dem sich ein grünes Tal erstreckt.
Lange herrschte zwischen den versprengten Überresten der Menschheit und urzeitlichen, Dinosaurier-ähnlichen Maschinenwesen eine friedliche Koexistenz. Leben und leben lassen. Abseits von gelegentlichen Jagden nach Ressourcen der metallenen Riesen und zur Verteidigung der Territorien war es stets still im und jenseits des Gebirges in dem das Spiel beginnt. Eine Art Pest, allgemein hin als die „Verderbnis“ bezeichnet, ändert schlagartig alles: Selbst die ruhigen Exemplare der Maschinen werden verrückt und machen Jagd auf Homo Sapiens. Die neugierige und mutige Aloy – einst verstoßen – fühlt sich berufen, dem Ursprung des Übels auf den Grund zu gehen und deckt atemberaubende Geheimnisse der Welt rund um Horizon Zero Dawn und deren Vergangenheit auf.
Auf dem Weg aus dem „Becken“ heraus trifft Aloy auf unterschiedliche Stämme und Siedlungen, muss zwischen Verbündeten und Kontrahenten unterscheiden – sieht sich jedoch gezwungen einen Schritt weiter zu gehen: Das Heimatgebirge hinter sich lassend, erkunden wir gemeinsam mit dem wilden Rotschopf und einem zuvor gefunden Hightech-Tool aus vergessenen Zeiten eine Spielwelt – die nicht lebendiger und geheimnisvoller sein könnte.
Authentizität bis in die letzte Fuge
Während Aloy durch die Spielwelt streift, bleibe ich unweigerlich öfter stehen als mir lieb ist: Abseits von Genre-typischen Collectibles (welche hier jedoch wunderbar umgesetzt werden) und die üblichen „Tonbänder“ gibt es einfach unwahrscheinlich viele, atemberaubende Orte und Panoramen. Man merkt bei jedem Schritt, wie viel Liebe fürs Detail bei der Entwicklung von Horizon Zero Dawn zu Trage kam. Immer wieder entdecken wir Siedlungen und gar völlig anderer Stämme am Wegesrand. Und überall das selbe, bedrohliche Bild: Eine Nora ist nicht willkommen. Und schon gar nicht eine Ausgestoßene. Aloy muss sich stets neu beweisen; ganz gleich welche Taten und Fußabdrücke sie hierbei in der Welt hinterlässt.
Die Welt des Spiels brilliert durch mehrere Klimazonen: Neben den schneebedeckten Gipfeln des Gebirges winken saftige Wiesen. Wem das nicht reicht, darf sich auf dichte Tropendschungel und trockene Wüstenabschnitte inklusive eines Canyons freuen. Grundsätzlich lädt die Landschaft oft einfach zum Erkunden und auch Verweilen ein. Nicht umsonst liefert Entwicklerstudio Guerrilla einen integrierten Fotomodus mit: Auf Knopfdruck lassen sich sämtliche Szenarien einfrieren und mit freier Kamerasteuerung entsprechend begutachten. Passt das Bild, die Beleuchtung, der Filter (höre ich da jemanden „Instagram!“ rufen?) und auch die Tageszeit (besonders cool: Ihr steuert auch wie die Sonne steht), kann geknippst und auf die hiesigen, sozialen Netzwerke hoch geladen werden. Eine bessere PR gibt es meines Erachtens nach nicht – jeder kann coole Bilder schießen und seinen Freunden zeigen. Coole Bilder machen Neugierig auf mehr.
Protagonistin Aloy macht hierbei eine ganz besonders gute Figur: Der aus der Feder von stammende Rotschopf könnte nicht ausdrucksstärker sein. Dank den passend hochwertigen Animationen wirkt Aloy stehts glaubwürdig und man kann nicht anders als sie einfach sofort ins Herz zu schließen. Hierbei umschifft sie übrigens gekonnt Klischees und ist meiner Meinung nach klare Anwärterin auf den Posten des beeindruckendsten Videospielcharakters 2017.
Auge um Auge (und aufs Ohr)
Neben der grandiosen Grafik, die nicht zeitgemäßer und schöner sein könnte, glänzt Horizon Zero Dawn mit seinen spannend taktischen Kämpfen. Die vielen unterschiedlichen Maschinenarten erfordern ein gewisses Studium: Bewegungsmuster, Verhalten bei Geräuschen und Schwachpunkte wollen vor jedem Kampf ausgelotet und eingeprägt werden. Aloy bewegt sich bei Kämpfen agil und präzise, was in Kombination mit den modernisierten Urzeit-Ungeheuern eine atemberaubende Dynamik schafft. Das Spiel erfordert gerade zu Kampfes- und Jagdtrieb von uns; so machen die Reibereien durchweg Spaß und verlieren – zu meiner Überraschung – nie an Spannung und Intensität. Ganz gleich, wie hochgerüstet unsere Nora-Jägerin los zieht – jedes neue Aufeinandertreffen mit den Maschinen ist zeitgleich eine neue Herausforderung.
Wo ich gerade über Rüstungen schreibe: Aloy bekommt im Laufe des Spiels die Möglichkeit mehr als zwei Dutzend verschiedene Outfits zu tragen; welche alle ihre eigenen Vor- und Nachteile haben. Wie auch Aloy selbst, ihr Gesicht und die tolle Haarpracht, sind auch die Kleidungsstücke grandios animiert und wehen beispielsweise realistisch im Wind. Letzteres nimmt übrigens dynamisch Einfluss auf Aloys Laune: So bekommen wir zum Beispiel in der Wüste zu hören, wie sich unsere Heldin über den Sand in den Augen und Ohren beschwert. Diese Reaktionen, Gesprächsfetzen und viele weitere, kleinere Details die eigentlich nichts aktiv zum Gameplay beitragen, gestalten HZD so lebendig wie nur irgend möglich. Da tun detaillierte Siedlungen mitsamt Argrar-Feldern und verzwickte Aquädukte vor den Toren der prachtvollen Hauptstadt Meridian ihr übriges.
Grundsätzlich kommt das Spiel in einer Grafikpracht daher, die wir nicht oft in Genrevertretern wiederfinden. Selbst im Vergleich zu anderen PS4-Exklusivtiteln, welche für ihre visuelle Qualität bekannt sind, lässt sich Aloys Abenteuer nichts nehmen. Wälder und Gebirge sind realistisch gestaltet, Schnee wird verweht, das detaillierte Gras wiegt sich ebenfalls im Wind. Ein dynamischer Tag-Nacht-Wechsel und volumetrische(!) Wolken runden das faszinierende Gesamtbild ab.
Auch akustisch bekommt man zu jeder Sekunde ein Festschmaus geboten: Jede Maschine stellt sich durch ihre individuellen, markanten Geräusche heraus. Auch die Umwelt strotzt nur so vor Lauten: Wenn wir durch eine sonnengeflutete Waldlichtung schleichen und ein kleiner Fuchs durch die Büsche jagt, kommt man nicht um ein leises Grinsen umhin. (Es sei denn, wir jagen den Racker für sein wertvolles Fell.) Hierbei ergänzt ein einzigartiger Soundtrack des Komponisten Joris de Man das Geschehen. Dieser ist derart stimmig und auf exzeptionelle Art und Weise filmreif, dass er noch lange unsere Spotify-Playlist schmücken wird.
Gonzales Meisterwerk
Die Haupt-Handlung und kleinen Geschichten am Wegesrand stammen aus der Feder von niemandem geringeren als John R. Gonzales – welcher sich bereits für das einzigartige Ödland in Fallout: New Vegas verantwortlich zeichnete. Was eingangs als einfacher Sci-Fi-Plot mit einer Prise Endzeit wirkt, baut sich nach und nach zu einer sehr persönlichen Geschichte rund um den Niedergang unserer Gesellschaft und der hübschen Verstoßenen des Nora-Stammes auf. Hierbei wurde das Pacing angenehm gestaltet: Ganz gleich, ob wir uns dazu entscheiden, die Welt weiter zu erkunden oder den Hauptstrang zu verfolgen: Mein Interesse wurde konstant gehalten.
Hierbei geht der Hintergrund der Maschinen besonders unter die Haut: Der niederländische Entwickler hat auf alle Fälle den richtigen Schreiberling für diesen Job gewählt. Wo zu Beginn pure Neugier der Antrieb für unsere Erkundungstour ist, gesellt sich später teilweise sogar das Grauen vor der Wahrheit dazu. Und das Ende erst … das Ende beantwortet sämtliche Fragen. Das schafften wenige Spiele bisher – meines Erachtens nach keines der letzten 24 Monate. Nach dem Beenden der Haupthandlung habe ich zwar die Möglichkeit, die Welt weiter zu erforschen und etwaige (nichtsdestotrotz durchweg abwechslungsreiche und spannend erzählte) Nebenmissionen zu erfüllen – doch der Durst nach mehr bleibt wohl noch lange in meiner Kehle stecken. Wie geht es weiter?
Hierbei gelang Guerrilla das bis dato eher unvorstellbare: Eine neue Marke, eine komplett „neue“ Welt, eine unverbrauchte Protagnistin – und alles passt. Alles stimmt und könnte so in der echten Welt 1:1 funktionieren. Am Ende will man immer und immer wieder eintauchen, in die Welt von Horizon Zero Dawn. Der Erfolg sei ihnen gegönnt – denn es war ohne Frage ein äußerst mutiger und zeitgleich riskanter Schritt weg von Killzone, hin zu einem Open-World Action-Rollenspiel. Und es wirkt, als hätten sie nie etwas anderes kreiert.
Feel it..!
Das Gameplay von Horizon Zero Dawn lässt sich am einfachsten mit einem Vergleich beschreiben: Eine Mischung aus Uncharted und The Witcher 3. Hierbei überwiegen der dynamische Kampf und die authentische Geschichte und ihre Charaktere die meisten vergleichbaren Aspekte. Beim Spielen entsteht wie von allein ein Flow aus Erkundung und Bezwingen der Maschinen, wie nichts zuvor. Ganz besonderer Bonus, den ich nicht noch mehr wertschätzen könnte: Das gesamte Spiel kommt ohne irgendwelchem Hokuspokus aus. Nein – es ist nüchtern betrachtet sogar unfassbar realistisch. Eine willkommene Abwechslung nach unzähligen Fantasy-RPGs, derer ich persönlich schon lange überdrüssig bin.
Die Steuerung von Aloy fühlt sich natürlich an und wurde in Uncharted-Manier wirklich gut umgesetzt. Lediglich die Menüs sind etwas, das einem nicht auf Anhieb gefallen will: Das Ver-/Kaufen von Gegenständen und Aloys Beute aus unerbittlichen Kämpfen gestaltet sich zum Testzeitpunkt als größter Kritikpunkt am Spiel: Liebes Guerrilla-Team, wir wollen 2017 nicht wirklich jedes einzelne Element mehrerer, großer Gegenstandsstapel einzeln verkaufen. Generell wäre eine Schnellfunktion hier hilfreich gewesen. Man entwickelt auf diese Weise so leider eine natürliche Abneigung gegen das Handeln. Es verkommt zur Notwendigkeit, wenn die ohnehin recht begrenzten (trotz vergrößerbaren) Taschen aus allen Nähten platzen. Gerade in einem Spiel, in dem die Jagd ein Schlüsselelement darstellt, sollte doch Freude aufkommen, wenn wir das verdiente Bare kassieren?
Zu Beginn ist die Spielwelt vom berüchtigten „Nebel des Krieges“ überzogen. Heißt konkret, dass erst bereits von Aloy erkundete Gebiete wirklich sichtbar werden. Hierbei bedient sich das Spiel in altertümlicher Ubisoft-Far-Cry-Manier großen Langhälsen. Vergleichbar mit der Gattung der Apatoauriern, stampfen diese schwerfällig und doch anmutig durch die Zonen. Erklimme ich einen hiervon, kann dieser von Aloy „überbrückt“ werden und es werden Details der Karte und ihrer Markierungen aufgedeckt. Zum Glück verkommt dies nicht wie auf so mancher Tropeninsel anderer Entwickler zu einer langatmigen, immer gleichen Kletterpartie: Diese Riesen, fünf an der Zahl, sind stets ein willkommenes Erlebnis im Jagdalltag.
Mit „Überbrücken“ war eine praktische Fähigkeit gemeint, welche die junge Heldin im Spielverlauf erlangt und perfektioniert: Schleiche ich mich nah genug an eine Maschine heran, kann ich diese mit einem zeitlich gekonnt abgestimmten Tastendruck hacken. Hierbei greift das Spiel auf eine Sparte von Fähigkeiten zurück: jede Maschine reagiert anders. So manch mechanisches Wesen lässt sich nach der Überbrückung sogar reiten: Und macht hierbei sogar eine deutlich bessere Figur als etwa Plötze aus CD Projekt REDs beliebten Hexer-Abenteuer. Das Gefährt galoppiert, auch hier wieder wunderbar animiert, wohin wir wollen – wahlweise sogar brav dem Pfad entlang … um Aloy so die Möglichkeit zu geben sich beispielsweise auf das Bogenschießen zu konzentrieren.
Letzteres ist das größte Kernelement des Spiels: neben einer Handvoll andere Utensilien (wie einem Stolperseil, Minen und mehr) greifen wir stilecht nach Nora-Art auf einen von drei unterschiedlichen Bogen-Arten zurück. Diese bringen (wie alle anderen Waffen) unterschiedliche Munitionstypen und Spielweisen mit sich; fühlen sich hierbei grandios an. Angeblich hatte man an einem Punkt der Entwicklung über den Einbau von handelsüblichen Schusswaffen und Gewehren nachgedacht – ich danke den Entwicklern, dass sie hiervon abgesehen haben. Sollte Aloy mal größeres Geschütz brauchen, lässt sich mit einem gezielten Schuss ohnehin das Geschütz verschiedener Metallriesen herunter schießen und so gegen sie selbst richten. Sehr, sehr cool!